OSTASIEN Verlag
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Revolutionäre Jugend
 
   
Zhang Langlang
 
   
2   Ich und die Todeszelle[1]
 
   
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Wenn man die von der KP seit der Staatsgründung ausgeübte Gedankenkontrolle graphisch darstellen will, ergibt sich eine Wellenlinie; mal wurde sie verschärft, mal wieder gelockert.

Nach der Staatsgründung gab es immerhin eine Verfassung und ein gesetzliches Verfahren. Gedankenkontrolle wurde im Wesentlichen mit Kampagnen durchgeführt. Die Allgemeinheit erinnert sich heute nur an die Kampagne gegen Hu Feng, die Kampagne gegen Rechts und die Kulturrevolution. Doch die höchste Welle der Aktionen gegen verbrecherische Äußerungen – Gedankenverbrechen – war wohl der „Dreifache Schlag “, der Anfang 1970 landesweit im größten Ausmaß, mit öffentlichen Verfahren und in aller Form verhängten Todesurteilen geführt wurde. Dieser Meilenstein ist gemäß Deng Xiaopings Grundsatz „Nach vorn schauen! “ heute leider aus dem Gedächtnis gelöscht.

Die zuständigen Stellen wollen nicht, dass man an die Kulturrevolution erinnert. Dazu sind den inländischen Medien neuerdings klare Weisungen erteilt worden.[2] Was der „Dreifache Schlag “ bedeutete, scheint kaum jemand mehr zu wissen. Aber wenn jetzt Yu Luokes* gedacht wird, taucht der Begriff bei manchen wieder auf. Yu Luoke läßt sich nicht so leicht aus der Geschichte streichen wie die Kulturrevolution.

Im „Dreifachen Schlag “ trieben die Behörden ihren Irrsinn auf die Spitze. Die Zentrale delegierte die Macht, Todesurteile zu verhängen, bis auf die Kreisstufe. Ein Todesurteil musste nicht mehr vom Obersten Volksgericht bestätigt werden, und der Verurteilte brauchte auch nicht mehr jemand umgebracht, ein Feuer gelegt oder sonst ein schweres Verbrechen begangen zu haben.

Überall im Lande wurden „aktive Konterrevolutionäre “ gruppenweise erschossen. Ihre Verbrechen waren schriftliche oder öffentliche mündliche „verbrecherische reaktionäre Losungen “ (gerichtet gegen die KP oder gegen ihre Führer), das „Verbrechen des bösartigen Angriffs “ (das beging, wer sich im Gespräch mit anderen über Führer unzufrieden oder unehrerbietig äußerte), und vieles andere dieser Art, alles todeswürdig, sogar „reaktionäre Tagebücher “ (mit Äußerungen der Unzufriedenheit mit den Behörden) konnten mit dem Tode bestraft werden. In Peking, wo man sich immer strikt an die von der Politik vorgegebenen Richtlinien gehalten hat, hörte man in jenen Monaten ständig das Klirren der Ketten der Todgeweihten auf Umzügen und auf Versammlungen zu ihrer „Kritik und Bekämpfung “ und blutrünstiges Geschrei: „Erschießt XXX! “ Überall hingen die Listen der Abgeurteilten, jeder Name rot abgehakt, und von der Regierung bestimmte Namenslisten „nach Überprüfung Hinzurichtender “, die „vom ganzen Volk diskutiert “ werden sollten – jeder sollte seine Haltung zu jedem der Opfer kundtun, „freiwillig “ mitentscheiden.

Wie ich später erfuhr, haben, um nicht für meinen Tod stimmen zu müssen, mindestens die Maler Huang Yongyu und Liu Xun die Versammlung an meiner Hochschule verlassen, die meine Erschießung diskutieren sollte. […]

Das war viel schlimmer als der rote Terror im August 1966. Jeder war in Gefahr. Ein Satz konnte ein Verbrechen sein, und wer war sich sicher, nie etwas Falsches gesagt zu haben? Anderswo war es noch schlimmer als in Peking. Ein siebzehnjähriger Gymnasiast in Henan, der zwei Sätze gegen Mao gesagt hatte, wurde zum Tode verurteilt und sofort hingerichtet. Ebenso erging es einem Dirigenten in Shanghai, der seine grausame Bekämpfung auf einer Versammlung nicht mehr ertragen und „reaktionäre Losungen gerufen “ hatte… Wie viele sind damals umgebracht worden? Was waren das wirklich für Fälle? Es ist bis heute geheim. 29 Jahre ist das her – ist das wirklich alles vergessen?

Hat die Geschichte ein derart schlechtes Gedächtnis?

[1]    Originaltitel: „Wo yu sixinghao “ 我与死刑号. In diesem erstmals in MinzhuZhongguo 民主中国 1999.4 publizierten Text hat der Autor die Gründe, aus denen er verurteilt wurde, und das Verfahren, das dazu führte, genauer dargestellt. Der Text ist hier wiedergegeben, soweit er sich nicht mit dem vorangehenden Text sowie von Text IV.1 und IV.2 überschneidet. Die ausgelassenen Stellen sind in der Übersetzung mit Auslassungszeichen […] gekennzeichnet. Zum vollständigen Original siehe www.chinamonitor.org/article/article/ wysxh.htm sowie die Abspeicherung des Textes auf der Homepage des OSTASIEN Verlags
[2]    In „Einige Vorschriften der Zentralen Propagandaabteilung der KP und des staatlichen Verlagsamts zu Fragen der Publikation von Schriften zur ‘Großen Kulturrevolution’ “ (关于出版 “文化大革命” 图书问题的若干规定) vom 10.12.1988, siehe unter: www.gapp.gov.cn/cms/html /21/399/200601/447454.html, bestätigt 30.3.2004, www.chinabaike. com/law/zy/0978/1419166.html (关于重申严格执行有关出版管理规定的通知).

 
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