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Revolutionäre Jugend |
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Zhou Guoping |
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„Guo Shiyings Tod“ |
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[…] Guo Shiying ist am 22.4.1968 gestorben, im Alter von gerade einmal 26 Jahren. Direkter Anlass zu dieser Aktion der Studenten gegen ihn soll gewesen sein, dass er mit [seiner Freundin] Xiaoxiao am Telefon Englisch gesprochen hatte, [um die Sprache zu üben]; andere hatten das gehört und ihn verleumdet, er stehe mit dem Ausland in geheimer Verbindung. Ihm blieb nur die sofortige Flucht aus der Hochschule, er wollte mit Xiaoxiao weit weg, unglücklicherweise haben sie ihn erwischt. Dann hat er nochmals versucht zu fliehen, er hat sich auf einer Trennwand in einem Abort am Flur versteckt, wurde aber entdeckt und dann noch grausamer misshandelt. Aus dem Fenster des Raums im dritten Stock des Wohnheims, in dem er festgehalten wurde, ist er am frühen Morgen dieses Tages hinabgestürzt. Noch als er auf dem Boden lag, waren seine Arme auf dem Rücken derart gefesselt, dass die Stricke ihm tief ins Fleisch einschnitten. Die Gewalttäter haben dann die Sekretärin seines Vaters unterrichtet, Guo Shiying habe „sich dem Volke entzogen”. Sie ist daraufhin mit [Shiyings jüngeren Bruder] Guo Pingying und Xiaoxiao in die Hochschule gekommen, um sich um den Leichnam zu kümmern. Dieser war mit Wunden übersät, an den Handgelenken und den Knöcheln lag das Fleisch offen. […] Ob Guo Shiying Selbstmord beging oder ermordet wurde, ist ein altes Rätsel. Die einzige Aussage zu den Umständen seines Todes stammt von den Gewalttätern: Guo Shiying habe den Studenten, der ihn bewacht habe, um Wasser gebeten; als der Wächter zurückkam, sei Guo bereits hinuntergesprungen. Das wäre eine fast unmögliche Leistung gewesen, weil das Fliegengitter des Fensters geschlossen und sein Riegel recht hoch war; dies Gitter mit Händen zu öffnen, die tagelang auf dem Rücken gefesselt waren und daher fast gelähmt gewesen sein müssen, wäre in jedem Fall, erst recht aber in so kurzer Zeit, nicht leicht gewesen. Und das Motiv? Guo Shiying wollte nicht sterben. Das beweist sein Fluchtversuch, bei dem er einen Abschiedsbrief wie vor einem Selbstmord hinterlassen hat, mit großen Schriftzeichen auf zwei dünnen Blatt Papier geschrieben, des Sinns, er habe sich voll in die geschichtlich beispiellose Große Proletarische Kulturrevolution stürzen wollen, und weil er das nun einmal nicht könne, wolle er sterben. Natürlich sollte das nur seinen Fluchtplan verdecken; das Misslingen dieses Plans könnte ihn in seiner Selbstachtung so allerdings verletzt haben, dass er, um sich vor dem Feind nicht lächerlich zu machen, mit seinem Leben diese Lüge löschen wollte. Deshalb kann man nicht sagen, dass er gar kein Motiv für einen Selbstmord hatte. Nur eines lässt sich mit Sicherheit sagen: Er ist zu einer Zeit gestorben, zu der er nicht sterben wollte. Guo Pingying, Xiaoxiao, Xiaozao und ich sind dann nochmals in die Hochschule gegangen und haben, um Genaueres zu erfahren, mit einem Studenten gesprochen, der mal bei den Guos zu Hause und vielleicht der einzige in Shiyings Klasse gewesen war, der Mitgefühl mit ihm hatte. Dieser Student sagte, an jenem Tag sei er im ersten Morgengrauen herumgeirrt, habe von unten an diesem Gebäude hinaufgeschaut und Guo Shiyings Schatten an dem schwach erleuchteten Fliegenfenster gesehen, wie er hinausstarrte. […] Im Juni 1980 hat die Gruppe, die an der Landwirtschaftlichen Hochschule Guo Shiyings Fall untersucht hat, meiner Einheit den Beschluss zu seiner Rehabilitation mitgeteilt, und der politische Beauftragte meiner Fakultät hat mir den ganzen Text vorgelesen. Der Sinn war ungefähr: Guo hat an der Hochschule eine feste politische Haltung eingenommen und sich ausgezeichnet betragen. In der Kulturrevolution hat ein Mensch im Revolutionskomitee der Hochschule, der ganz genau wusste, dass der Ministerpräsident Guos Problem geregelt hatte, dennoch nicht locker gelassen und Guo grausam zu Schaden gebracht. Nach Guos Tod hat der Ministerpräsident gesagt: „Das war gegen mich gerichtet.“ Guo ist in der Kulturrevolution ungerecht behandelt gestorben, „aktiver Konterrevolutionär” und sonstige unwahre Verleumdungen werden sämtlich gestrichen. – Der politische Beauftragte hat mir erklärt, die Fakultät habe meine Personalakte entsprechend bereinigt [d.h. gestrichen, dass Zhou mit einem aktiven Konterrevolutionär befreundet war]. Bei dieser allzu späten Gerechtigkeit habe ich nur Trauer gefühlt.
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