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Revolutionäre Jugend
 
   
Lao Li
 
   
Erinnerungen an Xiaoyan
 
   
(Teil 2)
 
   

(A1)

Vom März 1973 bis Anfang Sommer 1974, gut ein Jahr lang, habe ich Xiaoyan so gut wie gar nicht gesehen, nur einmal, Ende 73 oder Anfang 74, bin ich ihr bei Manzi begegnet. Sie war da bereits aus der [psychiatrischen] Anding-Klinik entlassen. Wir haben nicht miteinander gesprochen, sie sah mich nicht einmal.

Aber ein halbes Jahr später sah ich sie nochmals bei Manzi, und zu meiner Verwunderung begegnete sie mir sehr warm und dabei völlig natürlich, ganz wie einem alten Freund. Sie fragte mich sogar, warum ich sie denn nicht besucht hätte, als sie im Krankenhaus war. Sie sagte mir, ihr jetziger Freund sei der jüngere Bruder ihres Meisters, heiße Guo und arbeite außerhalb. Sie zeigte mir auch ein Foto, es war recht klein und der Mann darauf noch kleiner, ich konnte nicht recht erkennen, wie er aussah; aber ich hörte heraus, dass sie mit ihm sehr zufrieden war.

Als wir Manzis Wohnung verließen, fragte sie mich: „Kommst du zu meiner Hochzeit? “

Hochzeit? Sie hatte Ende August Geburtstag und war jetzt noch keine 20. Aber so treuherzig, wie sie das sagte, klang es, als ob sie nächsten Monat, spätestens nächstes Jahr heiraten würde.

(A2)

Von da an bin ich ihr bei Manzi oder Jiu immer wieder mal begegnet. An unsere Zeit miteinander schien sie sich kaum zu erinnern, nur manchmal erwähnte sie irgendwas wie im Scherz.

Im Herbst sprach sie plötzlich nicht mehr von jenem Guo, sie begann jetzt, von J. zu reden.

Ich hatte von ihm schon gehört, aber begegnet war ich ihm noch nicht.

J. war Soldat, Parteimitglied, wahrscheinlich auch Kader. Nach Xiaoyans Erzählungen war er voller Energie und sah ganz aus wie jemand in einem koreanischen Film, der damals in den Kinos lief; deshalb – nur deshalb – hatte Xiaoyan diesen Film fünfmal hintereinander gesehen.

Ich wusste damals gar nicht genau, in welchem Verhältnis sie eigentlich zu J. stand; jedenfalls dauerte es nicht lange, da verließ J. Peking.

Bei Jiu ist sie nicht lange danach auf G. gestoßen.

 
—> (B)