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Revolutionäre Jugend |
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3 Der Hintergrund |
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Die hier übersetzten Berichte und Gedichte befassen sich mit den Folgen der Kulturrevolution und ihrer Kampagnen. Die Technik dieser Kampagnen hat Zhang Langlang in „Ich und die Todeszelle “ (unten I.2) im Detail dargestellt. Die bisher geheime Rechtsgrundlage der hier wichtigen Kampagne des „dreifachen Schlags “ von 1970 hat neuerdings das Pekinger Parteikomitee veröffentlicht (unten I.4). Die Kulturrevolution hatte eine längere Vorgeschichte: 1957 brandmarkte die „Kampagne gegen Rechts “ über eine halbe Million Intellektueller als „Rechte “, warf sie aus ihren Stellungen, schloss sie vom Studium aus; viele verloren die Freiheit, nicht wenige ihr Leben. Dann ließ Maos Wirtschaftspolitik im „Großen Sprung vorwärts “ 1959–1961 um die 50 Millionen Menschen verhungern. Mao musste zurückstecken, die ideologische Kontrolle lockerte sich zeitweise. Interne Übersetzungen fremder Autoren (Hemingway, Graham Greene, Osborne, Salinger, Camus, Djilas u.v.a.) gerieten unter die Leute, überall bildeten sich „Salons “ kulturell Interessierter, darunter 1962 Zhang Langlangs „Sonnentruppe “, so genannt nach der letzten Zeile eines Gedichts von ihm, und „X “ von Guo Shiying. Dabei stand X für Rätsel und Kreuzweg. Ausgehend von der im damals herrschenden „dialektischen Materialismus “ heiß diskutierten Frage, ob im Spiel These-Antithese-Synthese die Aufteilung in These und Antithese („eins in zwei “) oder deren Vereinigung zur Synthese („zwei zu eins “) vorgehe, kam man bei X auf gefährlich konkrete Dinge: War der Klassenkampf das wichtigste Problem der Gesellschaft? War der Große Sprung Vorwärts eine erfolgreiche Synthese? War auch Maos Denken so zu analysieren? Mao sah der Unbotmäßigkeit eine Weile zu und schlug 1966 mit der Kulturrevolution zurück: 1959 hatte ihn der Verteidigungsminister Peng Dehuai in einem Brief für die Hungersnot verantwortlich gemacht, darum hatte Mao ihn aus dem Amt gedrängt, öffentlich aber Kritik erbeten und deshalb 1961 den Pekinger Vizebürgermeister und Historiker Wu Han* zu Artikeln und einer Oper über Hai Rui angeregt. (Hai hatte 1566 dem Kaiser vorgeworfen, er kümmere sich nur um seine esoterischen Spinnereien und lasse das Volk verhungern.) Mao lobte die Oper, setzte sie 1964 auf eine Liste von 39 landesweit an höhere Beamte verteilte Beispiele kapitalistischer Tendenzen und veranlasste seine Frau Jiang Qing, Artikel gegen die Oper schreiben zu lassen, zuletzt 1965 den Shanghaier Journalisten Yao Wenyuan über dies „volksfeindlich gefährlich giftige “ Lob eines Feudalbeamten. Mao redigierte diesen Artikel und erzwang Anfang 1966, dass er landesweit veröffentlicht wurde. Das Zentralkomitee der KP beauftragte am 14.4.1966 Jiang Qing und die Armee unter Marschall Lin Biao*, die „schwarze Linie der Kultur “ zu beseitigen, und setzte im Mai eine neue „Zentrale Kulturrevolutionsgruppe “, bestehend aus Jiang Qing, Yao Wenyuan und anderen, ein, um die Partei von „Kapitalisten und Chrustschowen zu säubern “. Am 29.5. bildeten Pekinger Gymnasiasten eine „Rote Garde “ für Mao. Studenten der Peking-Universität beschimpften ihr Rektorat als Bollwerk der Reaktion, Mao lobte sie, und das Radio gab dies Lob am 1.6. landesweit bekannt. Am 13.6. ließ Mao an allen Schulen und Hochschulen den Unterricht einstellen. Die Rotgardisten-Bewegung breitete sich aus. Rotgardistinnen eines Pekinger Mädchengymnasiums, zumeist Töchter hoher Kader, erschlugen am 5.8. ihre Direktorin. Am 18.8.1966 legte Song Binbin, 19jährige Anführerin dieser Rotgardistinnen,[1] Mao auf einer Versammlung Tausender Rotgardisten auf dem Tiananmen-Platz eine Rotgardisten-Armbinde um. Dies war das Signal zu allgemeiner Gewalt im „Roten August” , insgeheim gesteuert durch die Führer der Kulturrevolution (am Gymnasium Nr. 101 z.B. von Maos Chefideologen Chen Boda über seinen Sohn, der dort Schüler war). Die Polizei wurde angewiesen, den Roten Garden Listen von Reaktionären zu geben und nicht einzugreifen. Rote Garden setzten viele Lehrer (und wen sie sonst als reaktionär ansahen) fest, prügelten und folterten sie oft bis zum Tod, durchsuchten und plünderten ihre Wohnungen. Unzählige wurden in den Selbstmord getrieben. Zwischen Rotgardistengruppen kam es zu bewaffneten Kämpfen mit vielen Opfern. Mao gefiel’s: „China hat 800 Millionen Menschen, wie könnten die denn nicht kämpfen! “[2] Die Rotgardisten der ersten Stunde, Kinder hoher Kader, Gymnasiasten in Peking, sahen sich als natürliche Nachfolger der Führer des Landes und ihre Gegner bei anderen Roten Garden als „Hundesöhne “, die den „Himmel umstürzen “ wollten: „Der Alte ein Held – der Sohn ein guter Mann; der Alte reaktionär – der Sohn ein Schuft “, das war ihre „Abstammungslehre “.[3] Um ihre Verwandten vor anderen Rotgardisten zu schützen, verlangte ihre „Gemeinsame Aktion “ (liandong),[4] Führer der Kulturrevolution sollten sich nicht „allzu irre aufführen “. Das gefiel Mao nun gar nicht. Also befand er, man könne Rotgardisten „schlechter “ Klassenherkunft nicht als von Natur aus gefährlich ansehen. Darauf wurden die Liandong-Leute als reaktionär verdächtigt. Yu Luoke*, Sohn eines enteigneten kleinen Fabrikanten, konnte in einem Rotgardistenblättchen erklären, die Abstammungslehre sei unmarxistisch, denn der Mensch werde von seiner Praxis, nicht von seiner Herkunft, geformt. Das fand großen Anklang, verstieß aber gegen das Verbot, verurteilte „Feinde “ zu rehabilitieren. Der Aufsatz wurde zum „Giftkraut” erklärt. Die X-Gruppe wurde als reaktionär verurteilt, weil „Eins in zwei “ die Einheit unter Maos Denken zerstöre; X stehe für Хрущёв (Chrustschow). Yu Luoke wurde verhaftet, ebenso wie viele Mitglieder von X und von Zhangs „Sonnentruppe “; Guo Shiying wurde von Rotgardisten gefoltert und ermordet. Rotgardisten verjagten die meisten leitenden Beamten, sie wurden durch Militärs ersetzt. Im Mai 1967 leiteten Militärkomitees alle wichtigen „Einheiten “, wie Justiz, Polizei und Eisenbahn, auch die Hälfte der Banken und Zeitungen. Das war das Ende der Roten Garden. Im „Dreifachen Schlag “ (siehe unten I.2,3) wurden 1970 Yu Luoke, Zhang Langlang und unzählige andere zum Tod verurteilt. Ab der Jahresmitte ließ der Terror nach. 1971 bekam Lin Biao es mit der Angst, versuchte in die Sowjetunion zu fliehen und kam dabei um; nun wurden auch seine Vertrauten verfolgt. Viele aufs Land verschickte Jugendliche stahlen sich in die Städte zurück, so eine Gruppe in das bettelarme Baiyangdian verbannter junger Dichter (s. unten I.1 am Ende), die sich in Peking bei der in Lao Lis Bericht erwähnten H. trafen. 1975 unterbanden die Kulturrevolutionäre nochmals solche „Salons “, auch H. wurde festgesetzt, aber nicht mehr lang; 1976 starb Mao. Seine Frau und weitere Führer der Kulturrevolution (die „Viererbande “) wurden verhaftet, die Kulturrevolution war vorbei. Auf den Überlebenden lastet sie bis heute.
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